VIVACITAS BLOG - ZIVILCOURAGE IN 9 SCHRITTEN
Ist unsere Gesellschaft wirklich so gleichgültig, wie es bei solchen Berichterstattungen manchmal den Anschein macht?
Unserer Meinung nach sind die meisten Menschen sehr wohl betroffen. Und würden sehr gerne helfen. Nur sind sie im Gegensatz zur ‘ersten Hilfe’ für solche Situationen nicht ausgebildet. Sie fühlen sich überfordert, hilflos oder unsicher.
In unseren Workshops zum Thema Zivilcourage erleben wir es so, dass Menschen befähigt werden müssen, um auch bei Gewaltdelikten erste Hilfe zu leisten. Wenn Menschen in Situationen geraten, welche gefährlich sind, übernimmt ohne Training das ureigene Stressmuster. Und leider ist dieses selten der Situation angemessen.
Wer Notfälle trainiert, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, in Gefahrensituationen adäquat zu reagieren, signifikant.
Doch was bedeutet es denn, sicher Zivilcourage auszuüben?
Wir haben im Laufe der Zeit festgestellt, dass sich folgende 9 Schritte bewährt haben!
1. Stehe still und sammle Dich
Wie bei einem Verkehrsunfall ist es wichtig, zuerst einen Überblick zu verschaffen. Wo befindest Du Dich? Gibt es weitere Zeugen? Was passiert genau? Welche Fluchtoptionen hast Du?
2. Deine Sicherheit kommt an erster Stelle
Die eigene Sicherheit kommt immer und ausnahmslos an erster Stelle. Erstens, weil es niemandem etwas bringt, wenn es plötzlich zwei Opfer gibt. Und zweitens, weil Du, wenn Du selber Opfer wirst, auch nicht mehr fähig bist, zu helfen.
3. Unterstützung mobilisieren
Nimm nach Möglichkeit weitere Personen mit ins Boot. Die Erfahrung zeigt, dass dies nicht immer einfach ist. Weil auch hier Personen, welche ungeschult sind, nicht oder zögerlich reagieren. Mit einem kleinen Trick erhöht sich Deine Chance massgeblich, dass Du Unterstützung erhältst. So sprichst Du am besten nicht eine ganze Gruppe, sondern gezielt einzelne Personen an.
Wie kannst Du das tun? Eine Möglichkeit ist die Benennung von Kleidungsstücken: ‚Sie im grünen Hemd, kommen Sie und helfen sie mir!’ Wer persönlich angesprochen wird, empfindet eine stärkere Verantwortung und ist somit eher bereit, zu helfen.
Sorge dafür, dass eine Person die Alarmierung der Polizei übernimmt. Lass Dir von dieser Person bestätigen, wenn der Anruf ausgeführt wurde, und wann mit Hilfe zu rechnen ist.
4. Intervention
Wie im Schritt 1 beschrieben ist es für Deine Sicherheit unerlässlich, Dir zuerst einen Überblick zu verschaffen. Erst dadurch wird ersichtlich, welche Schritte überhaupt sinnvoll sind.
Vielleicht ist die einzige geeignete Intervention, dass Du alarmierst. Und so professionelle Hilfe aufbietest. Aber auch es der Polizei ermöglichst, bereits ein ‘Auge’ am Ort des Geschehens zu haben, welches sie über den Verlauf informiert. So dass die aufgebotene Patrouille nicht plötzlich eine leere Bushaltestelle vorfindet – weil das Opfer davonlaufen wollte, und der Täter diesem folgte.
Oder, noch schwerwiegender, wenn ein Überfall stattfindet, und die Polizei infolge der Verschiebung eines Tatortes plötzlich mittendrin ist, statt sich taktisch anzunähern.
Auch die Alarmierung und Berichterstattung, was gerade passiert ist eine wichtige und wertvolle Intervention!
5. Opfer ausser Gefahr bringe – statt Täter anzusprechen
Die meisten Menschen neigen dazu, in einer Notfallsituation sich auf den Täter zu fokussieren. Ich vermute, dass dies mit unserem Gerechtigkeitssinn zusammenhängt. Den Täter verbal oder gar körperlich anzugehen, ist nicht empfehlenswert.
Sicherer und einfacher ist es, das Opfer aus der Gefahrenzone zu bringen. Sprich dafür das Opfer direkt an: ‚Ich habe das Gefühl, sie brauchen Hilfe. Darf ich Ihnen helfen? ’
Versuch nicht, das Opfer mit einem falschen Namen anzusprechen oder das Opfer körperlich aus der Situation zu befreien. In einer Stresssituation können Opfer meist nicht so schnell zwischen einem weiteren Täter und einem wohlwollenden Helfer unterscheiden.
6. Distanz gleich Sicherheit
Bring möglichst rasch Distanz zwischen das Opfer, Dich und den Täter.
Lass dem Täter immer einen Fluchtweg offen. Menschen, welche in die Enge getrieben werden, reagieren fast immer mit einem heftigen Fluchtreflex. Scheint für den Täter keine Flucht mehr möglich, erhöht die Gefahr von einem tätlichen Angriff rasant. Lieber einen flüchtigen Täter als ein weiteres Opfer.
7. Beobachten und Melden
Nachdem ihr Euch Distanz verschafft habt, kontaktiere erneut die Polizei. Meldet den aktuellen Stand, das Täterprofil sowie den (mutmasslichen) Fluchtweg.
8. Zeugen auf Platz behalten
Leider kommt es immer wieder vor, dass Menschen, welche geholfen haben, sich entfernen, wenn sich die Situation beruhigt hat. Wenn sie sehen, dass das Opfer in Sicherheit ist, sehen sie ihre Pflicht als erfüllt und gehen. Damit gehen möglicherweise wertvolle Hinweise und Beobachtungen verloren. Versuche deshalb, möglichst alle Zeugen vor Ort zu behalten, bis und mit dem Eintreffen Polizei.
9. Nachbetreuung
Während einem laufenden Ereignis sind wir oftmals klar, souverän und können leisten, was erforderlich ist. Nachdem alles vorbei ist, fährt der Schreck dafür oft doppelt ein.
Tränen, Sprachlosigkeit, Wut, Hilflosigkeit oder auch vermeintlich unverständliche Lach-Flashs können sich unerwartet zeigen. Reden sie über das, was sie beschäftigt. Und scheuen Sie sich nicht, auch professionelle Hilfe zuzuziehen, um die Geschehnisse zu verarbeiten.
Fazit
Zivilcourage ist einfacher als man denkt. Es braucht dafür einen kühlen Kopf, einen Notfallplan sowie eine Portion Mut.